Menu
Menü
X

Kargheit und Fülle

Ein Text von Herbert Cybulska, Lichtgestalter und Beleuchtungsmeiste, zur Innenbeleuchtung der Nikolaikirche

Der Grundgedanke der Lichtgestaltung

Mit dem Zitat  „Licht ist Dein Kleid“  (Psalm 104 1.2)  haben wir  2017 das Lichtkonzept für die Nikolaikirche überschrieben. Gotische Kirchen sind Orte des Lichts. Sie wurden im Mittelalter als  in Architektur umgesetzte Liturgie verstanden.

Der Architekturhistoriker Johann Josef Böker schreibt zum gotischen Kirchenbau „Es ist das Gotteslicht, das durch die Fenster dringen kann, ohne dabei die Substanz zu verändern. Und es entsteht neben dieser weltlichen Außenseite des Gebäudes im Inneren der Gebäude ein großes theologisches Gefüge von Architektur, die als Vermittlung dienen soll zur Gotteserkenntnis, zur Erfahrung eines göttlichen, eines nicht irdischen Lichtes, einer anderen Wirklichkeit.“

Während gotische Kirchen in der Regel reichlich ausgestattet sind - manche überreichlich - haben die Stürme der Geschichte die Nikolaikirche fast leergefegt. Als „Schmuck“ als Reste eine alten Ausstattung  fanden wir eine Beweinungsgruppe und einen Torso vor. Diese Leere hat das Architektenteam Macholz-Kummer als Chance begriffen. Sie haben sie zugespitzt, eine klaren Raum geschaffen, der mit  weissen und vorsichtigen Grautönen den Raum gliedert, ihn nicht dekoriert. Die Idee des Lichtraums kann sich in diesem Konzept neu entfalten, weil nicht durch Gegenstände besetzt ist.

Das künstliche Licht dient nicht nur dem Lesekomfort, es kann und soll mehr. Es soll den Raum unterschiedlich lebendig werden lassen, ganz im Sinn der Liturgie und kann so dem gotischen Grundgedanken, das Licht im Kirchenraum symbolisch erleben zu lassen,  ins 21. Jahrhundert helfen - mit den Mittel, die wir heute haben.

Die Lichtelemente

Das Lichtkonzept setzt auf die reine Wirkung des Licht, nicht auf die Gestaltung von Leuchten. Ein allgemeines Raumlicht erzeugen Deckenleuchten.  Speziell für die verwendeten LED gefertigte Linsen leiten das Licht so in den Raum, dass die Flächen beleuchtet werden ohne die Säulen zu streifen; das würde ablenken.

Hingelenkt wird die Aufmerksamkeit zum Fachwerk der Fenster, die den Raum prägen, die den Besuchern Geschichte erleben lassen. Der Blich wird  ebenfalls zum Gewölbe über dem alten Hochchor gelenkt, das in unterschiedlichem Weiss ausgeleuchtet werden kann . Die Leuchten wurden so entworfen und ausgerichtet, das sie als Gegenstand nicht auffallen - wohl aber durch ihre Wirkung.

Die neue Ausstattung wird mit speziellen Scheinwerfern in Szene gesetzt, ebenso wir die Bögen, die den Raum in Haupt- und Seitenschiff teilen. Sie werden so beleuchtet, dass sie als Teil der Lichtarchitektur wirken und nicht in ihrer steinernen Materialität.

Wichtig für  den Raumeindruck ist die Ausleuchtung der Rückwand, die in warmem Weiss fast unmerklich durch Licht belebt, aber auch mit Farbe in Szene gesetzt werden kann. Das Zentrale Fenster kann in warmen oder kaltem Weiss sich anpassen oder auch einen Kontrast bilden.

Allein das warmweisse oder kaltweisse Licht, mit dem die Fenster illuminiert werden können und das vom Fachwerk dezent in den Raum hinein reflektiert wird lässt die Kirche sehr unterschiedlich erleben. Dem Kirchenjahr entsprechend lässt sich der Raum in seiner Grundstimmung ändern, ohne dass  die künstliche Beleuchtung „vorlaut“  wirkt.

Ergänzt durchs farbige Licht lassen sich Stimmungen zuspitzen. Über den Alltag hinaus sind für besondere Anlässe ausdrucksstarke LIchträume möglich.

Die Leuchtentechnik

Die eingesetzte Lichttechnik wurde zum großem Teil für den Raum in einer Manufaktur bei Gelnhausen handwerklich hergestellt, fast wie ein Maßanzug nach den Vorgabe der Lichtplaner. Die Leuchten konnte optisch und von der LED-Technik her für den Raum optimiert werden. Die Farbwiedergabe der eingesetzten LED-Engines ist sehr hoch, was die  Materialien im Raum sehr lebendig erscheinen lässt. Der Hersteller Digitalicht AG verzichtet auf Kataloge und aufwendigen Vertrieb, so dass die Leuchten preiswert hergestellt werden können. Falls nötig, ist alles zu reparieren.

Durch die hohe Güte des Lichts in der Wiedergabe von Farben bei hoher Effizienz der Leuchten, wurde die Maßnahme förderfähig. Sie konnte im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative gefördert werden.

Der leere Raum - eine Chance

Der leere Raum - vom Theatermacher Peter Brook in den 1970iger Jahren in einem berühmten Essay beschrieben - ermöglicht im Kopf des Zuschauers eigene Bilder.  Die inneren Bilder sind einprägsamer als die Eindrücke oder Illusionen per Dekoration.

Auch die Kargheit der Nikolaikirche wird zur Fülle, weil die sorgfältige Neugestaltung der Innenraumes die Möglichkeit dafür schafft, den Raum neu zu füllen. Das Licht ist dazu ein Hilfsmittel. Die Gemeinde, die den Mut zu diesem Bauvorhaben hatte, ist gleichsam der der Zuschauer, von dem Peter Brook spricht, der Raum der Hauptdarsteller.

Die gotische  Baukunst trifft einem leeren Raum  auf die  lichttechnischen Möglichkeit des 21. Jahrhunderts.  Baukunst, Darstellende Kunst und Künstlerisch inspirierte Lichtgestaltung treffen in Alzey aufeinander

Die Gemeinde betritt Neuland. Den Weg werde ich mit neugierigen Augen verfolgen.

Herbert Cybulska, Lichtgestalter, Beleuchtungsmeister

www.herbertcybulska.com

Zitate und Quellen

Johann Josef Böker „Architektur der Gotik. Rheinlande“

Müry Salzmann Verlags GmbH, Austria

o.a. Religionen / Archiv |Deutschlandfunk Kultur  Beitrag vom 30.11.2014

Peter Brook  „Der Leere Raum“ , Alexander Verlag Berlin

o.a. blog.der-leere-raum.de/philosophie/

Nationale Klimaschutzinitiative: Energetische Sanierung der Innenbeleuchtung in der Nikolaikirche

(c) BMU und NKI
Gefördert durch die Nationale Klimaschutz Initiative (NKI) und durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU).
(c) Ev. Kirchengemeinde Alzey
(c) Ev. Kirchengemeinde Alzey
(c) Ev. Kirchengemeinde Alzey

Mit der Nationalen Klimaschutzinitiative initiiert und fördert das Bundesumweltministerium seit 2008 zahlreiche Projekte, die einen Beitrag zur Senkung der Treibhausgasemissionen leisten. Ihre Programme und Projekte decken ein breites Spektrum an Klimaschutzaktivitäten ab: Von der Entwicklung langfristiger Strategien bis hin zu konkreten Hilfestellungen und investiven Fördermaßnahmen. Diese Vielfalt ist Garant für gute Ideen. Die Nationale Klimaschutzinitiative trägt zu einer Verankerung des Klimaschutzes vor Ort bei. Von ihr profitieren Verbraucherinnen und Verbraucher ebenso wie Unternehmen, Kommunen oder Bildungseinrichtungen.

Im Rahmen der Innenrenovierung der Nikolaikirche 2018-2020 wurde die Umrüstung auf energiesparende LED-Leuchtmittel in der Kirche gefördert.

Auszug aus der Festschrift:

Da das Licht für die Gotik eine zentrale Rolle spielte, wurde in einem nächsten Schritt ein Wettbewerb unter sechs Lichtplanern ausgelobt, um ein zu dem klaren, hellen Raum passendes Lichtkonzept zu entwickeln. Das Büro Cybulska + Partners aus Frankfurt ging daraus als Sieger hervor, weil es ein Konzept vorstellte, das den Entwurf unterstützt und noch unterstreicht, das die gleichmäßige Ausleuchtung des Kirchenraumes erreicht, ohne dabei die Leuchten selbst in den Vordergrund treten zu lassen.

Wichtige Elemente des Konzeptes sind:

  • Die neuen Lichtquellen sind weitgehend unsichtbar in die Architektur integriert.
  • Die Lichtfarben nehmen die Architektur auf und sind Varianten in Weiß.
  • Zentrale Architekturelemente des Raumes, wie Fenster und Säulen, werden durch Licht nachgezeichnet.

Auszug aus der Entwurfsbeschreibung von Herbert Cybulska:

„Licht ist Dein Kleid (Psalm 104 1.2). Der gotische Kirchenraum ist ein Ort des himmlischen Lichts. Vom ursprünglichen Schmuck und der Ausstattung des Innenraumes ist nach den politischen Wirren der letzten Jahrhunderte nicht viel erhalten.

Der neue Entwurf steigert die Leere und entwirft einen an der Vertikalität des himmlischen Raumes orientierten kargen, weiten und ganz in weiß gehaltenen Innenraum, der sich nicht an Dekoratives klammern muss, um ein Gotteshaus zu sein. Es gibt keinen Schmuck, keine Bilder, keine Figuren.

Es entsteht ein moderner, zeitgemäßer und offener Kirchenraum, in dem der himmlische Geist ungehindert ist. Das Lichtkonzept folgt und unterstützt diese Vorgaben. Bewusst wird auf dekorative Pendelleuchten verzichtet. Das reine Licht soll den Raum definieren, nicht die Leuchten. Zentrale architektonische Elemente werden durch Licht nachgezeichnet und herausgebildet. Das Lichtkonzept ist pures Licht. Licht ist das Kleid des Raumes.“

top